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Darf ich vorstellen: Ich bin #NotJustSad.

14 Nov

Dieser Hashtag macht sich nur gut bei Twitter, sondern auch perfekt bei der Überschriftenfindung. Ein Hashtag, der seit Tagen hohe Wellen schlägt und das nicht nur im Internet, sondern darüber hinaus. Wer darüber noch nichts gehört haben sollte: Es geht um Depressionen. Eine Krankheit, von der Millionen betroffen sind, aber dennoch wird darüber geschwiegen. Man hat als Depressionsempfänger (gibt es das Wort überhaupt? Egal!) das Gefühl, dass Menschen diesem Thema ganz gerne ausweichen, es sogar runterspielen oder ins lächerliche ziehen.

Klar ist das für Außenstehende, die diesem innerlichen Höllenritt Gott sei Dank noch nicht hatten und hoffentlich nie haben werden, nicht zu verstehen, bzw. nur sehr schwer.

Das Problem dabei ist auch: Wenn wir uns versuchen Menschen anzuvertrauen, ihnen erklären, was in uns vorgeht, bekommt man meistens nur die Standardsprüche an den Kopf geknallt:

‚Reiß dich mal zusammen!‘

‚Häh? Du hast Arbeit, ein Dach über den Kopf, kannst dir was leisten. Wie kann es dir da schlecht gehen?‘

Ach, das ist nur eine Phase! In ein bis zwei Wochen ist das vorbei, mir gehts auch manchmal so.‘

‚Woanders verhungern Kinder oder es werden Menschen kaltblütig ermordet. Dir dagegen geht es hier gut. Ich verstehe dein Problem nicht!‘

‚Bekomm einfach mal den Arsch hoch!‘

‚Dir geht es schlecht, kannst aber noch zur Arbeit und zu Konzerten gehen und lachst über dämliche Witze? Ist klar!‘

Es ist eine Liste, die wohl ewig so weitergeführt werden kann. Sprüche, die einen nicht helfen sondern eher das Gegenteil bewirken.

Wir Depressionsgeplagten wissen genau, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die täglich um ihr Leben fürchten müssen oder qualvoll verhungern und das ist mehr als schlimm, keine Frage.

Dennoch haben wir uns diese Krankheit nicht ausgesucht. Sie war einfach irgendwann da. Schleichend drehte sie ihre Runden um uns, bis sie eines Tages erbarmungslos zuschlug. Man selbst konnte es am Anfang nicht wirklich einordnen, warum man fast täglich weinend am Boden lag. Minutenlange Heulkrämpfe, die scheinbar aus dem Nichts kamen. Ich bin noch immer ganz gut darin, im Badezimmer zusammenzubrechen. Ob unter der Dusche oder das Zusammensacken auf dem Badvorleger. Man kann es nicht steuern.

Oder man erkennt sich selbst nicht wieder: Ich habe bei mir festgestellt, dass ich in besonders schlimmen Phasen sehr schnell gereizt, teilweise sogar agressiv reagierte. Es war so, als ob ich wie gelähmt neben mir stand und mich kopfschüttelnd dabei beobachtete, aber nicht einschreiten konnte. Oder dass man enge Freunde mit Aussagen vor den Kopf stößt, obwohl man das überhaupt nicht beabsichtigt hatte. Das macht die Sache noch schlimmer, weil man dann direkt die Gewissensbisse bekommt und sich noch mehr Vorwürfe als sonst schon macht. Teufelskreis.

Man verliert das Interesse an Dingen, die einen vorher viel bedeutet haben und/oder einfach nur Spaß brachten. Man sagte immer häufiger Treffen mit Freunden ab oder diverse Konzerte, auf die man sich eigentlich schon teilweise Monate im voraus noch gefreut hatte. Die Karten verfielen einfach, weil man nicht mehr aus dem Bett oder der Wohnung kam.

Der Selbsthass spielt auch eine Rolle, dieser verstärkt sich ebenfalls. Selbst wenn man nur den Einkauf erledigen wollte- es ging nicht. Ich war unzufrieden mit mir und meinem Aussehen. Ich wechselte die Klamotten, stellte mich vor dem Spiegel: ‚Nein, so kann ich nicht vor die Tür. Gott, bin ich häßlich!‘ Spätestens nach dem vierten Klamottenwechsel stiegen die Tränen auf. Einkaufen war gestrichen. So fand ich mich mit Jogginghose im Bett wieder und verbrauchte ein Taschentuch nach dem nächsten.

Stimmungsschwankungen. Auch sehr gefährlich. Gerade, wenn man mit jemanden unterwegs ist. Manchmal hatte es schon gereicht, wenn mich eine fremde Person kurz anschaute, schon fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Das Verlangen nach den eigenen vier Wänden wurde dadurch gestärkt. Alleine. Irgendwie versuchen die nächsten Tage zu überstehen.

Man weiß, dass man eigentlich viel zu erledigen hätte, aber man kann sich einfach nicht aufraffen. Es ist, als ob dich jemand mit aller Gewalt daran hindern möchte: Ob es nun der Haushalt ist, Behördengänge oder andere alltägliche Dinge. Man weiß es, aber man es einfach nicht. Bis dann tatsächlich das Ende des Tages erreicht wird und man zur Erkenntnis kommt: Ich habe heute nichts geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Und nein, es hat nichts mit Faulheit zutun!

Ich habe mich nie zu einem Arzt getraut. Immer, als ich kurz davor war, habe ich gekniffen. Ich hatte Angst davor, dass man mir nicht glaubt und als Simulant hinstellt. Das hätte mir wohlmöglich endgültig das Genick gebrochen.

Manchmal denke ich: Oh, ich bin seit ein paar Wochen ’stabil‘. Man macht sich etwas Hoffnung, aber es ist wie ein Boomerang: Es kommt wieder zu dir zurück.

Ich war vor ein paar Wochen bei einem Konzert in Essen. Ein kleiner Club. Aber selbst kleine Menschenansammlungen machen mich meistens schon nervös. Ich stand da, schaute mir das Konzert an und es kam wieder: Dieser ungeheure Druck im Brustkorb. Es ist so, als ob einem gleich der komplette Oberkörper in Fetzen um die Ohren fliegen würde. Man atmet schwerer. Man bekommt leichte Panik und liebäugelt bereits mit der Tür. Während der Lieblingsmusiker seine Lieder spielt, versuchst du die Tränen zu unterdrücken. Noch mehr Panik, die zahllosen Gedanken richten ein Trümmerfeld im Kopf an. Ich war froh, als der letzte Song gespielt wurde, stürmte raus und lief einfach los. Und lief und lief und lief. Die Tränen drückten nach oben, immer und immer wieder. Ich bekam fast keine Luft mehr. Die Panik wuchs somit noch mehr, weil nun auch noch Atemnot hinzukam. Wäre ich an diesem Abend zusammengeklappt: Gewundert hätte es mich nicht. Es war ein langer Fußweg zurück zum Hotel, fast eine Stunde. Auf dem gesamten Weg musste ich die Tränen unterdrücken, was mir aber nur teilweise gelang.

#NotJustSad

Bei Twitter können sich so Betroffene äußern, wie es in ihnen aussieht. Was sie denken und fühlen und welche dummen Sprüche man einfach nicht mehr ertragen kann. Es ist mehr als gut, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu ‚drängen‘, aufzuklären. Denn Depressionen sind alles andere als harmlos: Viele sehen zum Beispiel keinen anderen Ausweg mehr und bringen sich um, weil sie es einfach nicht mehr ertragen und ja: Ich kann es nachvollziehen.

Es ist ein täglicher Kampf, es gibt dabei kaum eine Verschnaufspause: Es beginnt schon damit, dass man sich regelrecht dazu zwingen muss, aus dem Bett zu steigen. Am liebsten würde man den ganzen Tag nur dort rumliegen und sich mit keinem anderen Menschen verständigen müssen. Bei der Arbeit funktioniert man nur noch. Feierabend? Nicht für den Kopf. Nicht für die Seele. Es schmerzt innerlich einfach alles. Tag und Nacht. Und man fragt sich oft: Wann habe ich an einem Tag mal nicht geweint? Man findet keine Antwort drauf.

Man versucht damit zu leben und nicht daran zu zerbrechen. Ich glaube, dass es immer ein Teil von mir bleiben wird.

Bleibt zu hoffen, dass Depressionen nicht erneut unter den Teppich gekehrt werden und man darüber redet. Sich austauscht. Zuhört. Lernt.

 

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